ludus luminosus


Agfa ISOLETTE I und Adox GOLF 63

Der Kameramarkt der frühen 50iger Jahre war eine Zeit des Übergangs: die für die Zeit vor dem Krieg typischen Balgkameras wurden zwar noch im großem Umfang produziert, gaben ihre Popularität jedoch zunehmend an Kameras mit starrem Gehäuse ab, das Kleinbildformat 24x36mm setzte sich allmählich gegenüber dem größeren Rollfilmformat durch und das deutsche "Wirtschaftswunder" hatte im Ergebnis eine hohe Nachfrage nach Kameras, Filmen und fotografischen Gerätschaften zur Folge, was der Fotoindustrie in Deutschland vor der asiatischen "Invasion" späterer Jahre ein letztes Mal eine markante Blütezeit bescherte.

In diese Zeit fällt die Präsentation zweier berühmt gewordener Kameraserien, die von zwei bedeutenden deutschen Filmherstellern entwickelt wurden und die in sehr hohen Stückzahlen produziert den Absatz von Rollfilmen beträchtlich steigern sollten und aufgrund einer erschwinglichen Preisgestaltung zu "Volkskameras" avancierten: die AGFA Isolette und die ADOX Golf - beides handliche Klappkameras für das Rollfilmformat 60x60mm, Mittelformatkameras für die "Manteltasche".
Vor allem war der Formatvorteil ein großes Plus des Rollfilms - die Negative waren groß genug für günstige Kontaktkopien, eine aufwändige teure Vergrößerung der Negative unnötig. Der große Nachteil war die geringe Bildzahl von 12 Bildern pro Film beim quadratischen 6x6-Format, was dem Kleinbildfilm mit seinen 36 Bildern u.a. zu seinem Aufstieg verholfen hat.

Die Kameras aus diesen beiden Serien sind aktuell mit Ausnahme der auch heute noch teuren Spitzenmodelle extrem günstig auf dem Gebrauchtmarkt zu haben - sie sind zwar oft sehr gut erhalten und nicht selten sehen sie "neuwertig" aus, da sie von ihren damaligen Besitzern häufig durch Kleinbildkameras ersetzt wurden und deshalb unbenützt jahrzehntelang in irgendwelchen Schränken standen - haben jedoch in den meisten Fällen zwei gravierende Fehler, die Isolette sogar noch einen Fehler mehr: verharzte Zentralverschlüsse, nicht mehr lichtdichte Bälge und bei der Isolette zusätzlich noch eine blockierte Frontlinse, bedingt durch chemische Veränderung des damals verwendeten Schmiermittels im Feingewinde. Mit etwas Know-How lässt sich die verharzte Feinmechanik wieder zum Leben erwecken, schwieriger wird es bei der Frontlinse des Triplets an der Isolette und bei einem löchrigen Balg ist ein Reparaturversuch des alten Balgs selten zielführend. Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß mit einer "Reparatur" nur vorübergehend Abhilfe geschaffen wird, das damals verwendete Kunststoffmaterial ist in seiner Struktur über den langen Zeitraum beschädigt, die ständige Balgbewegung beim häufigen Gebrauch (!) der Kamera produziert immer wieder neue winzige Licht-Löcher an den Balgfalten...

Durch ihre minimalistische Konzeption und ihre deutlich zu sehen- und zu spürende "Made in Western Germany" Qualität längst vergangener Tage machen diese Kameragehäuse richtig Lust auf fotografieren im eigentlichen Wortsinn: das langsame Herantasten an ein Motiv in einer ganz besonderen Lichtsituation und das Festhalten dieses Augenblicks sach- und fachgerecht auf einem Rollfilm - eben das im Wort FOTOGRAFIEREN bereits angelegte "Malen mit Licht", das im digitalen Zeitalter verlorengegangen ist und oft einem ständigen "knipsenden Bildermachen" mit seiner unendlichen Bilderflut ohne Bildaussage gewichen ist.

Die hohe haptische, solide Qualität der beiden Kameragehäuse, die beide außer ihrer "Belederung" komplett aus Metall bestehen, ihre auf das fotografisch Wesentliche reduzierte Konstruktion und das raumsparende Klappkonzept haben mich davon überzeugt, beiden Kameras handgefertigte, nagelneue und nicht gerade günstige Qualitätsbälge aus China anzupassen und ihnen damit einen neuen, störungsfreien Lebenszyklus zu ermöglichen. Diese "Operation" ist nicht einfach und nur für geschickte Bastler zu empfehlen ! Erschwerend kommt hinzu, daß es - zumindest bei dem Hersteller aus China - maßgeschneiderte neue Bäge nur für die Isolette gibt - der Isoletten-Balg muß für das kleinere Adox-Golf Bildfenster angepasst werden, die vordere Metallplatte für das Objektiv muss unbedingt vergrößert werden, da ansonsten Lichtlecks vorprogrammiert sind...

Kompaktes Mittelformat auf kleinem Raum mit kleinstem Aufwand war schon immer mein Wunsch, nachdem ich sehr viel mit großen, schweren und unförmigen Spiegelreflex Modul-Mittelformatkameras fotografiert habe. Auch die Bildqualität stimmt: beide Kameras besitzen gute Triplet-Objektive, die bei angemessenem Abblenden (!), genauem Fokussieren, passender Lichtsituation und verwacklungsfreiem Fotografieren auch randscharfe Negative produzieren - in den Spitzenmodellen der Serie wurden dereinst vierlinsige Tessarobjektive verbaut, die aus meiner Sicht den opulenten Mehrpreis auf dem heutigen Second-Hand-Markt keineswegs wert sind, sowohl das ADOXAR als auch das AGNAR sind (entgegen vielfach geäußerter Statements...) leistungsfähige Standardobjektive, die bei angemessener Verwendung (!) kontrastreiche und scharfe 60x60mm große Negative liefern - ein gutes Beispiel für die erstaunliche Leistungsfähigkeit von gut konstruierten Triplet-Objektiven lieferte einst das Vergrößerungsobjektiv TRINAR von Rodenstock...
Die Quelle von Unschärfen sind meist "Verwacklungen" sowie eine fehlerhafte Fokussierung. Die genaue Fokussierung im Nahbereich wird durch die im Mittelformat übliche Normalbrennweite der verbauten Objektive von 75mm (Adox) und 85mm (Agfa) sehr erschwert, im Kleinbildformat wäre das ja bereits im Bereich eines Portrait-Teleobjektivs mit seinen geringen Toleranzen. Zudem sind die Verschlusszeiten altersbedingt wesentlich langsamer als sie eigentlich sein sollen, beide Kameras sind eigentlich bei schlechten Lichtbedingungen, ISO100 Filmen und Interesse an scharfen Negativen "stativpflichtig", was sie bei korrekter Einstellung der Entfernung und einer Mindestblende von 8-11 mit knackscharfen Bildern belohnen. Eine gute Lösung sind ISO400-Filme und eine "gepushte" Entwicklung um einen Blendenwert, der Formatvorteil hält das aus und ermöglicht damit starkes Abblenden.

Es ist nicht ganz einfach, beide Kameras zu guten, technisch einwandfreien Bildern zu überreden - es erfordert Zeit und solides fotografisches Know-How, da sämtliche Parameter, die maßgeblich über die Qualität des Bildes entscheiden (Verschlusszeit, Blendenwert, Entfernung...) ermittelt UND eingestellt werden müssen, wer kennt heute noch die "sunny sixteen"- Regel...?
Im Endeffekt führte es dazu, daß die Hersteller in den Folgejahren zunehmend "Automatik-Funktionen" in ihre Amateur-Kameras verbauten, um den hohen Anteil an technisch unbrauchbaren Bildern und damit unzufriedenen Kunden zu verringern...

Im Übrigen sind beide Kameramodelle nahezu gleichwertig, die Adox Golf ist etwas kompakter und leichter als die ISOLETTE und hat eine vorteilhafte Doppelbelichtungssperre, beide besitzen den gleichen Pronto-Verschluss mitsamt der im Verschluss verbauten hochwertigen Blendenmechanik und einem Selbstauslöser, beide haben die gleiche Frontlinsenverstellung für die Entfernung und den gleichen Filterdurchmesser (30mm) für Aufsteckfilter in der Schwarzweiß - Fotografie.

Kurzum: Wenn man sich sowohl für den fotografischen Weg zum guten fotografischen Bild als auch für das fertige fotografische Endprodukt interessiert dann sind diese beiden altehrwürdigen Kameragehäuse für das Mittelformat eine perfekte Lösung - sie ermöglichen Fotografie pur und sind mit neuen Bälgen quasi "für die Ewigkeit" gebaut.
Beim herkömmlichen Verbrennungsmotor gilt schon immer die alte Weisheit, daß die Größe des Hubraums durch NICHTS (!) zu ersetzen ist - in der analogen Fotografie gilt diese Regel für die Größe des Negativformats: das Rollfilmformat 60x60 ist fast viermal (!) so groß wie das Kleinbildformat, was einen gravierenden Auflösungsvorteil bedeutet. Im krassen Gegensatz zur heute allgegenwärtigen Digitalfotografie mit Smartphone oder Kamera entscheidet jedoch bei diesen beiden analogen Kameras letztlich die fotografische Kompetenz der Person HINTER der Kamera in erster Linie über die technische Qualität des fotografischen Bildes !

Welches enorme Leistungspotential in einer alten Agfa Isolette mit dem Objektiv Agnar 4,5/85 steckt, wenn sie kenntnisreich bedient wird, zeigt dieses eindrucksvolle Video - das "gehypte" Solinar 4,5/75 kann das sicher auch nicht wesentlich besser... LINK ZUM VIDEO...

Die folgenden Bilder entstanden mit der ADOX Golf, Kentmere 100 + Adonal, "geprinted" wurde auf Agfa Record Rapid und Agfa Multicontrast classic...


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