Ausstellung vom 27. September bis 12. Oktober 2008 im Alban-Wolf-Saal des Historischen Pfarrhauses von Wiesentheid
Eine Hommage an die klassische Analog-Schwarzweiß-Fotografie im Mittelformat. Alles das Eilende Knaben, o werft den Mut Alles ist ausgeruht: R.M.Rilke, Sonette an Orpheus I / XXII
Wir sind die Treibenden.
Aber den Schritt der Zeit,
nehmt ihn als Kleinigkeit:
im immer Bleibenden.
wird schon vorüber sein;
denn das Verweilende
erst weiht uns ein.
nicht in die Schnelligkeit,
nicht in den Flugversuch.
Dunkel und Helligkeit,
Blume und Buch.
Der Augenblick, wenn es ihm gelingt mein Inneres in Bewegung zu versetzen, ist ein ganz besonderes Geschenk, das sich manchmal in unendlich vielseitiger Gestalt ereignet, wenn man es entdeckt und die damit verbundene Entdeckerfreude zulassen kann. Er kann ein liebenswürdiger und inspirierender Freund sein, ein Moment des Innehaltens und der Neuorientierung, ein glücklicher Denkanstoß oder auch eine kurze Traumreise mit einem völlig neuen Blickwinkel. Es geht dabei nicht so sehr um eine Suche nach diesem 'Augenblick', sondern eher um ein Finden dieses flüchtigen Moments, um eine visuelle Achtsamkeit und ein behutsames und respektvolles Eindringen in die Welt, die uns umgibt. Die Motivation zum 'Anhalten' dieses Zwiegesprächs zwischen mir und dem Objekt, seiner Herauslösung aus der flüchtigen Wirklichkeit und seiner greifbaren Intensivierung mit Hilfe einer fotografischen Inszenierung, entsteht durch dieses wundersame Augenblicks-Erlebnis, mit dem sich die besondere Magie von Orten, Plätzen oder Dingen stets von neuem mitteilt. Zum Festhalten derartiger Momente steht dem Fotografen heute neben der klassischen analogen 'Silberfotografie' noch zusätzlich das moderne digitale Bildspeicherverfahren für eine Realisierung seiner fotografischen Bildvorstellungen zur Verfügung. Beide Varianten bieten eine nahezu grenzenlose Fülle von höchst unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten und beide Alternativen haben ihre individuellen Charakteristika, die Einfluss sowohl auf die Arbeitsweise als auch auf das Resultat nehmen - wer die radikal entschleunigte und hochkonzentrierte Arbeit mit einer filmbasierten Mittelformatkamera kennt, die ganz eigenartig inspirierende Aura der analogen Dunkelkammer über viele Jahre verinnerlicht hat und sie mit dem digitalen 'Workflow' mit endlosen Bildserien und Rechnerarbeitsplatz vergleicht, weiß wovon hier die Rede ist. Die fotografischen Bilder für diese Ausstellung sind ausschließlich durchgängig analog erzeugte Baryt-Silbergelatineprints - fotografiert mit einer traditionellen, vollmechanisch gesteuerten Mittelformatkamera und Handbelichtungsmesser, mit rollfilmbasiertem Schwarzweißmaterial als Bildspeicher und Ausarbeitung der Negative in handwerklich aufwändiger Dunkelkammer-Laborarbeit. Neben dem regulären analogen Schwarzweiß-Prozeß kommen bei den entstandenen Bildern vornehmlich zwei außergewöhnliche fotografische Analogverfahren zur Anwendung: die Verwendung von Schwarzweiß-Infrarot-Filmmaterial und das Laborverfahren 'Lith-Printing' - bei geeigneten Bildobjekten entstehen bei einer Kombination beider Verfahren höchst interessante Bildresultate. Mit seiner besonderen spektralen Sensibilisierung, die auch auf das für uns unsichtbare langwellige Infrarotlicht reagiert, erzeugt der Schwarzweiß-Infrarotfilm zusammen mit einer speziellen Lichtfilterung eine ungewöhnliche 'Verschiebung' der Helligkeitsverteilung und eine dadurch entstehende Tonwertverfremdung, die für die einzigartige Bildwirkung verantwortlich ist. Beim Lith-Printing Verfahren - nicht mit der Lith-Entwicklung von Schwarzweiß-Filmmaterial zu verwechseln - handelt es sich um eine äußerst wirkungsvolle Positiv-Labortechnik, die mit herkömmlichen grafischen Hochkontrast Lith-Positiventwicklern in extrem starker Verdünnung arbeitet, besonders hochsilberhaltige Chlor/Bromsilber-Fotopapiere erfordert und im Ergebnis hochinteressante, monochrome Bildstrukturen produziert. Ein Lith-Print ist durch die hohe Komplexität des zugrunde liegenden photochemischen Verfahrens und der damit verbundenen Unmöglichkeit einer präzisen Wiederholung und Kontrolle der Vorgänge bei der Bildentstehung ein echtes Unikat, was charakteristisch für die älteren fotografischen Edeldruckverfahren des Pictorialismus gewesen ist und zum besonderen Reiz dieser Technik beiträgt.
Gerade in der zeitlos-klassischen Mittelformat-Schwarzweiß-Disziplin mit ihrer Neigung zur Motivabstraktion erweist sich die hochdifferenzierte Grauwertdynamik des Silberfilms und sein immenses technisches Potential - der 'gigantische' Kontrastumfang von Schwarzweißfilm übertrifft denjenigen der aktuellen Digitalfotografie um ein Vielfaches - für die von mir anvisierte Bildästhetik als unübertrefflich. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch das geradezu 'knisternde' Schärfepotential bei geeigneten Bildobjekten (Stichwort 'taktile' Bildrezeption...) und die unerreichte Bildanmutung des am Ende vorliegenden altehrwürdigen Baryt-Silbergelatineprints.
So gesehen sind die ausgestellten fotografischen Bilder auch ein leidenschaftliches Plädoyer für die enormen künstlerischen Ausdrucksmittel der inzwischen fast in Vergessenheit geratenen filmbasierten Schwarzweiß-Mittelformatfotografie.
In einem als 'infektiöse Entwicklung' bezeichneten Prozeß erzeugen die durch die hohe Verdünnung stark gebremsten Entwicklersubstanzen zusammen mit einer gezielten Überbelichtung und Teilentwicklung des Fotopapiers - ohne zusätzliche Labormanipulationen wie etwa die nachträglichen Tonungsverfahren - sepiafarbige Bildtöne, die in Abhängigkeit von diversen Laborparametern und der gezielten Auswahl eines geeigneten Fotopapiers einen weiten Farbspielraum von etwa mittelbraun bis hin zu zartem ockergelb umfasst. Dabei entsteht eine völlig andere Interpretation eines Schwarzweiß-Negativs, gelithete Vergrößerungen sind fotografische Bilder mit ganz eigentümlich nuancierten, monochromen Farbreizen, mit satten, körnigen Schwärzen und feinst modulierten Lichtern bei wenig ausgeprägten Mitteltönen.
Besonders Nachtaufnahmen mit ihrem enormen und eigentlich unkopierbaren Kontrastumfang, aber auch der mysteriös wirkende Tonwertshift eines Infrarotnegativs, sind ein geradezu ideales Terrain für das Lith-Verfahren - im Zuge einer massiven Umstrukturierung des Fotomarktes in die digitale Richtung sowie strenger Umweltschutzgesetze (das für die Produktion effektiver Lith-Papiere notwendige Chrom wurde inzwischen aus der Fotochemie verbannt) ist mittlerweile die Auswahl des Materials für das fotografische Lith-Printing durch den Rückzug diverser Hersteller außerordentlich schwierig geworden.
© Reinhard Brunsch ÖFFNUNGSZEITEN: Sa: 15 - 18Uhr, So: 10 - 12/14 - 17Uhr, Mi: 14 - 17Uhr, oder nach Vereinbarung.
Schläft ein Lied in allen Dingen,
die da träumen fort und fort.-
Und die Welt hebt an zu singen,
triffst Du nur das Zauberwort !
( J.v.Eichendorff )